2024
Landeskonzert 2024
"Freude strahlt den Kindern aus jedem Knopfloch"
Vierhundert begeisterte junge Musikanten beim Landeskonzert „Schulen in
Hessen musizieren“ im Kurhaus Wiesbaden
„Musikalische Bildung zielt auf Mündigkeit und zunehmende Selbstbestimmung in sozialer Verantwortung.“ So heißt es im Vorspann der „Agenda 2030“ des Bundesverbandes Musikunterricht, dessen Schrift „Für musikalische Bildung an Schulen“ am Ticketstand auslag beim diesjährigen Landeskonzert „Schulen in Hessen musizieren“ im Wiesbadener Kurhaus. Von der grundlegenden Bedeutsamkeit von Musik, von Mündigkeit und Selbstbestimmung bei den jungen Musikanten war viel zu spüren an diesem traditionsreichen Abend, der den krönenden Abschluss der diesjährigen Veranstaltungsreihe „Schulen in Hessen musizieren“ markierte. Bei den vorangegangenen Regionalbegegnungen hatten sich im Februar 2024 annähernd 4000 Schülerinnen und Schüler in über neunzig Ensembles aller Schulformen und Altersgruppen zum Musizieren getroffen. Begegnungsorte waren Bad Arolsen, Biedenkopf, Frankfurt, Friedrichsdorf, Herborn, Kassel, Michelstadt, Münster bei Dieburg und Wiesbaden. Armin Schwarz, Hessischer Minister für Kultus, Bildung und Chancen, brachte Grüße der Landesregierung und erlebte das große Engagement des musikalischen Nachwuchses auf seine Weise: „Freude strahlt den Kindern aus jedem Knopfloch.“ Er betonte – für die Belange des Verbandes besonders wichtig – die Relevanz von Musik und versicherte: „Musikunterricht ist unersetzbar.“ Er hob den Wert des gemeinsamen Musizierens hervor, das er in seiner Heimatstadt Bad Arolsen als Schüler an der Christian-Rauch-Schule beim musikalischen Schwerpunkt mit seiner Trompete selbst erlebt habe. Musik baue Brücken und gehe zu Herzen.
Empathiefähigkeit und Persönlichkeitsbildung
Auch die Präsidenten des BMU-Landesverbandes Hessen, Frau Prof. Dr. Katharina SchillingSandvoß und Thomas Spahn, hatten höchstes Lob parat und erinnerten an die Bedeutung von Musik für die Jugendlichen und die daraus resultierenden Ziele des Verbandes: „Die Besonderheit der Begegnung mit Musik liegt, neben ihrem besonderen emotionalen Gehalt, darin, dass sie stärker als andere Künste sozial verbindend wirkt. Gemeinsames Musikmachen hat einen nachweisbaren Einfluss auf soziale Fähigkeiten, auf soziale Anerkennung, auf Empathiefähigkeit und auf die Persönlichkeitsbildung. Die im Musikunterricht gemachten Erfahrungen können nicht durch andere Fächer ersetzt werden.“ Unter den Gästen waren auch die Wiesbadener Stadträtin Bettina Gies, die Präsidentin des Landesmusikrates Hessen, Dorothee Graefe-Hessler, sowie Michael Eberhardt, der Landesvorsitzende für Hessen des Verbands Deutscher Musikschulen. Ebenfalls gekommen waren der Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikunterricht Ansgar Menze und seine Vorgängerin Dorothee Pflugfelder.
Fingergerechte Arrangements und freche Triller
Prall gefüllt war die Bühne bereits bei der musikalischen Eröffnung durch die Concert Band der Geschwister-Scholl-Schule Rodgau und das Orchester der Schule Auf der Aue Münster. Dmitri Schostakowitsch und Johann Strauß gaben sich die Ehre im tänzerischen Wettstreit: Die Orchester-Leiterin Cornelia Krones hatte fingergerechte Arrangements erstellt, beließ Schostakowitschs „Walzer“ in bedächtigem Tempo und gab ihren Schülerinnen und Schülern viel Raum fürs Schwelgen. Und diese fühlten sich wohl bei dunklen Farben und im totalen Unisono. Schrillere Töne und freche Triller gab es beim „Persischen Marsch“ von Johann Strauß, bei dem sich die Streicher freiwillig der Übermacht des Blechs ergaben. Tino Desogus löste Cornelia Krones ab beim potpourri-artigen „Polar Express“: Volldampf und offenkundiger Spaß der Kinder an flotten Rhythmen, aber auch zarte Töne in den ruhigen Episoden. Tilman Jerrentrup, der Landesbeauftragte für „Schulen musizieren“, führte locker durch das Programm, während seine Schülertruppen für reibungslose Bühnenumbauten sorgten. Eine weite Anreise hatten die Kleinsten aus Nordhessen hinter sich: Von Body-Perkussion unterstützt, gestalteten etwa fünfzig Kinder der Grundschule Neuer Garten Bad Arolsen (Leitung: Anne Kettschau und Petra Mies) vier eingängige Liedchen. „Ich hab‘ einen Traum“, sangen sie, formulierten Kinderwünsche und winkten am Ende fröhlich ins Publikum, wo die stolzen Eltern saßen.
Schmissiger Gassenhauer und Spagat mit Applaus
Musik vom Feinsten bot das Flötenensemble des Friedrichsgymnasiums Kassel unter der Leitung von Eduard Menzel: Vom hellen Garklein-Flötlein bis zum grundierenden Fagott hüpften die Imitationen der acht Solisten bei Giovanni Bononcini; tänzerisch und schwungvoll war Eberhard Werdins „Jugoslawische Tanzsuite“ und kontrastierte schlüssig mit zwei BachChorälen. Extravagant als schmissiger Gassenhauer: Der abschließende „March from Somerset“ von Ralph Vaughan Williams. Äußerst diszipliniert und mit einer exakten Choreographie präsentierte sich der Schulchor 5/6 des Gymnasiums Michelstadt (Leitung: Albena Vogel), wobei der finale Spagatsprung eines Schülers nach dem musikalisch harmlosen „Be a Light“ Sonderapplaus erhielt. Umso anspruchsvoller waren die mit erstaunlicher Klangschönheit und feiner dynamischer Abstufung servierten Ausschnitte aus dem Disney-Film“Vaiana“. Nach der Pause gaben die DSL-Concert-Band, Strings und Musical-AG der Dreieichschule Langen (Leitung: Christian Herget, Frauke Preisler und Hanna Bönig) Einblicke in ihre derzeitige Musical-Produktion. Vom Streichersound eingebettet, ertönte „Maybe“ im professionellen Stil und unverzichtbarer Mikrofon-Verstärkung, gefolgt vom lässig swingenden „Little Girls“. Nicht fehlen durfte an diesem Abend die 200. Wiederkehr der Uraufführung von Beethovens Neunter Sinfonie. Die Reverenz erwies auf besondere Weise das Bläserensemble der FritzPhilippi-Schule Breitscheid (Leitung: Heike Schlicht) mit einem von starken SchlagzeugAkzenten geprägten Arrangement der Freudenmelodie (Europa-Hymne). Danach begaben sich die jungen Bläser mit „I Want It That Way“ auf den gesicherten Boden des Mainstreams, konnten bei „Jugendträume“ mit jeder bayrischen Trachtenkapelle konkurrieren und provozierten am Ende gar begeistertes Mitklatschen.
Chor-Extravaganzen und wohltuende Schlichtheit
„Soll man auf die Vielfalt der instrumentalen und vokalen pädagogischen Unterrichts-konzepte in den Schulen setzen?“ hatte Thomas Spahn bei seiner Begrüßung gefragt und auf das SowohlAls-Auch verwiesen, das einst auch Fußball-Ikone Gerd Müller präferierte, als er „Am besten beides!“ antwortete auf die Frage, was ihm lieber sei – das entscheidende Tor für den FC Bayern oder sechs Richtige im Lotto. Ein plastisches Beispiel für einen solch großen Kontrast lieferte an diesem gut besuchten Konzertabend nach dem Auftritt der Bläser aus „Hessisch Sibirien“ der Oberstufenchor der Oranienschule Wiesbaden (Leitung: Philipp Guttzeit und Tobias Hahn): Die Gesangsbeiträge dieser Chor-Arbeitsgemeinschaft waren ein Höhepunkt des Landeskonzertes. A capella agierend, gerät die Chorgruppe bei den Extravaganzen von Jake Runeestads „Nyon Nyon“ unversehens in zusätzliche körperliche Aktionen, gipfelnd in Trampeln und Stampfen. Vorbildlich und wohltuend in seiner Schlichtheit belassen: Das „Abendlied“ von Josef Rheinberger – eine Schülergruppe, zudem geleitet von einem Oberstufenschüler, die mit jedem professionellen Chor mithalten kann, und die zeigt, welch hohe vokale Qualität man auch in einer bestens funktionierenden Arbeitsgemeinschaft in der Schule erreichen kann.
Klasse Klassik und tönendes Universum
Vor dem Finale wurden drei Ensembles (Concert Band und Orchester aus Rodgau und Münster, das Flötenensemble aus Kassel und der Chor der Wiesbadener Oranienschule) von Johannes Mundry (Bärenreiter-Verlag Kassel) mit dem Sonderpreis „Klasse Klassik“ (Gutscheine für Noten) ausgezeichnet.
Zum Abschluss des Landeskonzertes war die Bühne nochmals „zum Bersten voll“, wie Tilman Jerrentrup konstatierte: Zusätzliche Notenständer mussten herangeschleppt werden, und aufmunternden Beifall gab es beim Auftritt des Jugendorchesters Karben „Attacca“ der KurtSchumacher-Schule Karben (Leitung: Claus Carsten Behrendt, Robert Koch, Yorck Pretot), als schließlich die große Trommel über Köpfe hinweggehievt und positioniert war. „Das Beste kommt immer zum Schluss“, wurde in unmittelbarer Sitznachbarschaft geflüstert. In der Tat: Gleichermaßen schnittig und sonor erklang im Breitwandformat Ed Huckebys „Acclamations“, gefolgt von „Phasing Thunder“ (Brian Balmages), einem wirkungsvollen Tongemälde mit vielen klanglichen Überraschungen und einem feinen Pianissimo-Schluss. „Grandios, was Sie auf die Beine gestellt haben“, meinte zurecht der Staatsminister. Und am Ende des Landeskonzertes erklang, einer langjährigen Tradition folgend, der Kanon „Da pacem, Domine, in diebus nostris“, der seit über vierhundert Jahren nichts von seiner Aktualität und Wirkungskraft eingebüßt hat: Tönendes Universum im Friedrich-von-Thiersch-Saal.
Albrecht Schmidt